Unsere Kinder wachsen zwischen zwei Kulturen auf: der türkischen und der deutschen. Sie sprechen beide Sprachen, sind christlich getauft und feiern auch türkische Festtage.
Doch so unkompliziert, wie es klingt, ist das Familienleben zwischen beiden Kulturen oft nicht. Die Unterschiede und Besonderheiten bringen Herausforderungen mit sich, die wir als Familie täglich meistern.

„Erst Heiraten, dann Kinder“
Die ersten kulturellen Unterschiede machten sich schon in der Familienplanung bemerkbar. „Zuerst heiraten“, predigte meine Schwiegermutter immer wieder.
Als ich 36 Jahre alt war, verlobten wir uns. Doch eine Hochzeit im folgenden Jahr kam nicht zustande, vor allem wegen der unterschiedlichen Vorstellungen unserer Familien: Meine deutsche wünschte sich eine gediegene Feier im kleinen Kreis mit gutem Buffet, meine Schwiegerfamilie plante indessen ein Groß-Event mit über 500 Gästen, viel Kitsch und ganz ohne Essen in der Heimat meines Verlobten.
Doch während die Hochzeitspläne schwebten, tickte meine biologische Uhr immer lauter – ich wollte ein Kind, verheiratet oder nicht. Als wir von einem Familienaufenthalt in der Türkei zurückkehrten, bemerkte ich, dass ich schwanger war.
„Bende bebek var“ – Ich habe ein Baby
Zum Jahrestag unserer Verlobung wollten wir die frohe Nachricht per Videobotschaft verkünden. Mit Cocktails (meiner war selbstverständlich alkoholfrei) stießen wir an. Vor der Kamera sagte ich in gebrochenem Türkisch: „Bende bebek var“ (Ich habe ein Baby).
Die Freude war groß, doch prompt folgte die Standpauke: Als Schwangere dürfe man keinen Alkohol trinken (als ob ich das mit fast 40 nicht wüsste!) Und natürlich kam direkt das altbekannte: „Erst heiraten.“
Doch meine Gedanken drehten sich jetzt nur noch um unser Wunschkind. Als wir Jahre später die Schwangerschaft mit unserer zweiten Tochter verkündeten war von Hochzeit keine Rede mehr.
Das Wochenbett: Wenn Kulturen aufeinanderprallen
Meine Schwiegermutter ließ es sich nicht nehmen, nach der Geburt ihrer Enkelin aus der Türkei anzureisen. Mit im Gepäck: ein riesiger Vorrat an Bohnen. Für sie die perfekte Nahrung im Wochenbett – für mich der Garant für Blähungen und schlaflose Nächte.
Sie schwört auf die „gesunde türkische Küche“ und hat wohl gewisse Zweifel, dass eine deutsche Frau etwas Anständiges auftischen kann. Ironisch, denn sie war es, die unserer Tochter mit zwei Jahren schwarzen Tee (immerhin verdünnt) zum Frühstück servierte!
Ein Hotel kam für sie als Familienmitglied nicht infrage, denn in ihrer Vorstellung sind alle Deutschen wohlhabend. Dass wir beengt in einer Zweizimmerwohnung leben, übersieht sie dabei völlig.
Fürsorge auf Türkisch
Ihre „Hilfe“ sorgte noch für einige Überraschungsmomente: Beim Abendessen nahm sie unserer Tochter den Schnuller aus den Mund, tunkte ihn in Salatdressing und steckte ihn wieder in den Mund. Sie dachte wohl, ein simpler Schnuller sei zu fad für ein schon sechs Wochen altes Baby …
Distanz? Fehlanzeige!
Bei einem Restaurantbesuch in der Türkei griff meine Schwiegermutter mir, ganz selbstverständlich, von oben in mein Oberteil, um beim Stillen zu „helfen“. Ein kultureller Schock, der saß.

In der Türkei sind Berührungsängste eben unbekannt: Kinder werden herzlich in den Arm genommen oder gar geküsst. So fand es mein Freund als er erst kurze Zeit in Deutschland war, auch ganz normal, einem fremden Kleinkind über die dicken Wangen zu streicheln. Doch die deutsche Oma reagierte prompt: „Bitte nicht anfassen!“ Noch heute lacht er über diese interkulturelle Begegnung.
Die Taufe – unser kleines Geheimnis
Für meine Schwiegereltern war klar, dass ihre Enkelin nicht getauft würde – schließlich war sie ihrer Meinung nach von Geburt an automatisch Muslimin. Mir hingegen war ebenso klar, dass unser erstes Kind getauft wird. Diese Entscheidung haben wir allerdings eine Weile „vergessen“ zu erwähnen. Erst als unsere zweite Tochter an der Reihe war, haben wir es gebeichtet.
Bio versus Fast Fashion
Ich kaufe für meine Kinder gern Kleidung aus Bio-Baumwolle oder Wolle, das Spielzeug aus Holz, manchmal gebraucht und vorzugsweise nachhaltig produziert. Meine Schwiegermutter hingegen bevorzugt den Basar: günstige Kleidung, die oft aus Polyester besteht, deren Nähte nur ein paar Wäschen überstehen und Accessoires, die mit Heißkleber angebracht sind. Auch das Spielzeug hat oft ein kurzes Leben – die Barbie-ähnliche „Elsa“-Puppe hatte bereits am Tag ihres Einzugs schon ein Bein verloren, dass sich nicht mehr fest machen ließ.
Aus der Sicht meiner Schwiegereltern sind westliche „Luxusgüter“ und Nachhaltigkeit eher zweitrangig; das einfache Leben, auch mit Plastik und Kitsch, ist für sie der richtige Weg.
Von Sprachbarrieren und Missverständnissen
Unsere Sprachbarriere führt immer wieder zu Missverständnissen und humorvollen Situationen. Als Deutsche bin ich manchmal zu direkt, während ich die höfliche Indirektheit der Türken oftmals nicht verstehe oder missdeute.
Besonders der Satz „Alisa, learn Turkish!“ von meiner Schwiegermutter bringt mich auf die Palme. Sie erwartet von mir, fließend Türkisch zu sprechen, obwohl ich mehr verstehe, als sie ahnt. Ironischerweise beschränken sich ihre Englischkenntnisse auf genau diesen Satz, obwohl sie als Grundschullehrerin Englisch unterrichtet hat.
Die indirekte Kommunikation erschwert manchmal den Austausch, besonders seit dem Streit zwischen meinem Freund und seiner Mutter nach der Geburt unserer Tochter Alina. Bis heute weiß ich nicht, worum es ging. Im Wochenbett bestrafte sie uns mit Ignoranz.
Kreativität ohne Grenzen
Für meine Schwiegerfamilie scheint eines klar zu sein: Mit Entschlossenheit und etwas „Learning by Doing“ kann man alles meistern.

Mein Schwiegervater ist darin ein echtes Multitalent – er bastelt, repariert und baut alles selbst, von der steilen Holztreppe zur Gästeetage im Ferienhaus bis zur Einhornschaukel aus alten Autoreifen. „Niemand wird als Handwerker geboren“, pflegt er oft zu sagen. Und über Missgeschicke sieht er großzügig hinweg: Als unsere Jüngste Blessuren durch einen Sturz von seiner Schaukel davontrug, brachte er kurzentschlossen ein Seil als Rausfallschutz an.
Türkische Gastfreundschaft und bedingungslose Hilfsbereitschaft
Manches mag mir fremd erscheinen, doch gerade die kleinen Gesten der Hilfsbereitschaft und die herzliche Gastfreundschaft schätze ich sehr an der türkischen Kultur. Als ich etwa am Flughafen meine Tochter stillte, bot mir eine junge Frau sofort eine Wasserflasche an. In der Heimatstadt meines Freundes überließen seine Eltern uns ihr eigenes Ehebett und schliefen selbst auf dem Sofa.
Was bleibt: Ein Familienleben zwischen zwei Kulturen
Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, die kulturellen Unterschiede mit Humor und Gelassenheit zu betrachten. Unsere Töchter wachsen in diesem interkulturellen Umfeld auf und erfahren, dass es vielfältige Traditionen, Bräuche und Werte gibt. Letztlich werden sie selbst entscheiden, welchen Weg sie einschlagen möchten, und hoffentlich das Beste aus beiden Welten wählen.
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