Introduction

Die „lieben“ Ratschläge

Die „lieben“ Ratschläge

Es ist der erste Tag des Jahres 2023. Bei 17 Grad, blauem Himmel und Sonnenschein ziehe ich mit dem Kleinen bei bester Laune im Kinderwagen los. Er ist beim Fahren eingeschlafen. Dazu nutze ich gerne mal seine Einschlafplaylist. Mein Handy ist dann bei ihm im Kinderwagen zur Einschlafbegleitung. Auch an diesem besonderen Tag des Jahres bleibe ich nicht verschont und höre sie: Die „lieben“ Ratschläge.

Situation 1 – es geht los

Mit einem Kaffee TO GO aus meinem Lieblingscafé gehen wir in den Rosengarten in München. Es ist einer meiner Entspannungsorte. Dort gibt es eine Treppe vor einem Haus, auf der der wärmste Platz ist und ich die Sonne am liebsten genieße.

Eine Frau sitzt bereits dort. Ich frage sie, ob ich mich dazu setzen darf. Ja, ich darf. Sie fragt mich nach der Uhrzeit. Ich hole mein Handy aus dem Kinderwagen, um ihr die Uhrzeit zu sagen.

Statt eines Dankes entgegnet sie mir, dass die Strahlung des Handys nicht gut für Kinder sei. Ich erkläre mich und lasse sie wissen, dass ich es lediglich zum Einschlafen nutze. Sie meinte, ohnehin wäre es ja besser, wenn die Kinder beim bzw. am Herzschlag der Mutter einschlafen. Was so viel heißt wie, „warum nutzt du nicht die Trage?“. Dass ich ihn ein halbes Jahr ausschließlich getragen habe, weiß sie natürlich nicht und möchte es ihr auch nicht erklären. Es kommt mir vor, als müsste ich mich rechtfertigen. Sie möchte weiter darüber reden, aber ich blocke ab.

Situation 2 – es geht weiter

Wenige Minuten später setzt sich ein Paar mit auf die Stufen. Ungefragt und ca. 30 cm neben den Kinderwagen. Der Kleine schläft immer noch. Der Mann hustet immer wieder mit einer recht kräftigen Stimme und mein Kleiner bewegt bzw. zuckt im Schlaf bei jedem Husten. Ich stehe auf und rolle den Kinderwagen auf die gegenüberliegende Seite vom Weg. Der Mann fragt, ob es ihm in der Sonne zu heiß sei oder warum ich den Kinderwagen wegschiebe. Ich entgegne, dass ich ihn ein wenig von den Stimmen wegschiebe, da er ja gerade schläft. Jetzt steigt seine Frau ins Gespräch ein und erklärt, dass es ja gut sei, wenn das Kind Stimmen höre und nicht so isoliert seien. Ich sagte, dass er ja auch drüben Stimmen höre, aber eben nicht so laut. Die andere Frau, die den „Handystrahlung-Ratschlag“ ja schon an mich adressiert hatte, sagte, sie hätte gelesen, dass es schon im Bauch gut sei, Stimmen zu hören und dass das ja jetzt weiterhin sicher gut sei.

Jetzt hatte ich genug. Ich sagte, dass ich gerade nicht für ungebetene Ratschläge offen bin. Ich wollte einfach sein Schläfchen nutzen, um hier in der Sonne meinen Kaffee genießen. Fragte, ob das für alle okay sei, steckte die Kopfhörer in die Ohren und beherrschte mich, um mich nicht aufzuregen und ausfallend zu werden.

Situation 3 – im vorbeiwandern

In der gleichen Woche passierte es wieder. Beim Wandern bei herrlichstem Sonnenschein und im Wald windstill. Ich habe dem Kleinen kurz die Mütze vom Kopf genommen. Beim Vorbeiwandern lässt mich eine Dame wissen, dass ich die Mütze besser auflassen solle. Ein „lieber“ Ratschlag im Vorbeigehen. Ich entgegne ihr, dass ich das ganz gut allein entscheiden könne.

Warum immer ich?

In den letzten 7 Monaten seit der Geburt steckte ich häufig in derartigen Situationen. Für mich eine der herausfordernden Seiten des „Mutter sein“. Ich frage immer wieder andere Mütter, ob es ihnen auch so geht. Auch sie erhalten ab und zu mal die „lieben“ Ratschläge, aber keine in der Häufigkeit wie ich.

„Ist er warm genug angezogen? Ist es nicht zu heiß für ihn? Kann man mit so einem kleinen Baby schon raus? Bekommt er Luft in der Trage? Man sieht ihn ja gar nicht in der Trage. Er lacht ja gar nicht.“ Das sind nur einige weitere Kommentare. Übertrumpft wird das noch von dem ungefragten Berühren.

Was soll mir das sagen? Wirke ich so inkompetent? Sollte ich mehr Grenzen aufzeigen?

Im Nachgang frage ich mich, wie ich am besten mit solchen Situationen und den Ratschlägen umgehe. Aufregen kostet Kraft. Unfreundlich werden, passt auch nicht zu mir. An diesem Tag habe ich mich freundlich erklärt. War das schon rechtfertigen oder überhaupt nötig? Die beste Reaktion wäre doch ein knackiger Satz, der sie zum Schweigen bringt und auf alle „lieben“ Ratschläge anwendbar ist.

Warum fühlen sich diese Menschen überhaupt befähigt, ungefragt Ratschläge zu erteilen? Das Mindeste wäre doch vorher zu fragen, ob er gehört werden möchte. Ich renne ja auch nicht durch die Welt und spreche fremde Menschen auf ihr Verhalten oder ihre Kleidung an. Stellen Sie sich vor, dass ich auch draußen willkürlich einfach Menschen ins Gesicht greife und die schöne Nase bewundere. Das möchte man als Erwachsener doch schließlich auch nicht?

Wären die Menschen alkoholisiert, wäre die Grenzüberschreitung irgendwie naheliegender. Aber sie sind augenscheinlich nüchtern.

Sollten Sie als Leser hier Vorschläge bzw. Sichtweisen teilen wollen, wäre ich sehr offen und dankbar.

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