Introduction

Der erste Ultraschall

Der erste Ultraschall

„Der erste Ultraschall ist noch nicht so spannend, da sieht man noch nicht so wirklich viel. Da ist dann nur so ein kleines Böhnchen. Später wird das dann natürlich spannender.“

So warnt mich meine Gynäkologin vor, während sie das Gerät vorbereitet, einer Art lieblosen Dildo, mit medizinischem Kondom drüber, für die Vaginalsonografie.

Schwangerschafts-Smalltalk

Natürlich gibt es erstmal ein Gespräch. Sie kommt locker darauf zu sprechen, dass es ja gut geklappt zu haben scheint, das mit dem im Frühherbst erwähnten Kinderwunsch. Fragt nochmal (wie auch schon die Arzthelferinnen mehrmals davor) nach dem ersten Tag der letzten Periode. Fragt nach meinem Allgemeinzustand. Ich erzähle ihr, dass ich keine Morgenübelkeit habe, sie erzählt, dass sie bei ihren Schwangerschaften auch nie Übelkeit verspürt hat.

Es ist ein sehr nettes Arztgespräch, dass sich eher wie Smalltalk anfühlt. Ich versuche, nicht zu aufgeregt zu wirken. Nebenbei, nonchalant. Ich lasse es also, anzusprechen, dass mir die fehlende Übelkeit Sorgen bereitet; manchmal wird die Schwangerschaftsübelkeit mit einem geringeren Risiko für eine Fehlgeburt in Verbindung gebracht. Mir ist seit Jahren übel, tagsüber, vor allem morgens, und dass es weder weniger noch mehr geworden ist, macht mir Sorgen. Aber ok, erstmal freue ich mich einfach nur. So gut es geht. Und lasse die Nachfrage weg.

Worüber man spricht und schweigt

Stattdessen rattere ich den Standardkatalog meiner Medizinakte runter. Ich erwähne eine Blutgerinnungsmutation, meine Schilddrüse, meine negative Blutgruppe, die Penicillin-Allergie. Und dann erwähne ich natürlich die Rohwurst auf dem Raclette, den Alkohol im Punsch. Die Vorgeschichte mit Alkohol lasse ich weg.

Die, in der ich auf dem Weg zur Arbeit vor meine eigene Haustür kotze, weil ich nicht mal mehr aufrecht stehen kann. Die, in der ich Bier im Rucksack mit in die Uni nehme, um das Zeug am Vormittag auf der Toilette runterzuwürgen. In der ich tagelang mit Flaschen im Bett liege, weil eine Beziehung, Kinder, Familie, Sicherheit, Stabilität, so unerträglich weit weg liegen. Ich erzähle ihr nicht, dass ich mehrmals in den schlimmsten Episoden dachte, ok, komm nicht mehr hoch, sauf dich einfach zu Tode. Bleib hier liegen. Es ist auch schon egal.

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Der geheime Teil

Das braucht sie alles nicht zu wissen. Sie hat mich ja danach kennengelernt, als so etwas nur noch ganz vereinzelt vorkam. Als meine Blut- und Enzymwerte schon normal waren und meine Leber nicht mehr verfettet. Aber um es ganz klar zu sagen: Ich hätte das erwähnen sollen. Weil das Teil meines Lebens ist, wenn auch ein geheim gehaltener Teil. Es ist Scham und Angst, und der immense Wunsch, all das hinter mir zu lassen, der mich davon zurückhält, ihr etwas zu sagen.

Daher bekomme ich die Standardantwort, wie sie im Lehrbuch steht: Das passiert ganz häufig, einfach ab jetzt keine Rohwurst mehr, kein Alkohol mehr, natürlich nicht rauchen, Fleisch gut durchgaren, und so weiter.

Live-Übertragung mit Herz

Und dann ist der Moment da, der unspannende, der mit der angekündigten Bohne im Ultraschall, die jetzt nicht so beeindruckend sein soll. Gerät an, Stab rein. „Ah, da sehen wir es schon.“

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Und da sieht man es tatsächlich. Größer, als ich dachte, weniger bohnig, als erwartet. Eher wie zwei Boppel aufeinander, oder eine Schuhsohle. Und da flimmert etwas. Ich frage nach, was das ist, wobei die Antwort auf der Hand liegt. Das ist die Herzaktivität, wird mir erklärt. Auch dass alles gut aussehe, dass es keine Zwillinge seien, keine Eileiterschwangerschaft. Die Länge wird vermessen. Und ich? Ich kann mich nicht mehr zurückhalten und breche in Tränen aus.

Etwas

So viel Anspannung fällt herunter. Da ist wirklich etwas. Und das ist nicht im Eileiter und es ist kein Tumor und es ist nicht Irgendwas, es ist Etwas, etwas ganz Normales. Etwas Gesundes. Etwas ganz Spontanes. Ist einfach da, lebt so vor sich hin und wächst.

All die Jahre der Ungewissheit, die Spritzen im Kühlschrank. Finde ich überhaupt einen Partner, der mich liebt und eine Familie will, den ich liebe. Finden wir uns früh genug. Kann ich eigentlich schwanger werden, können wir überhaupt ein Kind zeugen. Komme ich je genug von Alkohol und dem ungesunden, selbstzerstörerischen Lebenswandel los, bin ich je gesund genug, physisch und psychisch, um Mutter zu werden.

Krass banal

Und dann ist da plötzlich diese Bohne oder Schuhsohle oder was auch immer, und ein kleiner Fleck, der periodisch von hellgrau zu dunkelgrau wechselt. Ganz selbstverständlich, das Normalste der Welt. Nichts Besonderes. Die wundervollste, krasseste Banalität meines Lebens.

So viele Sorgen, so ein langer Weg, ich schaue so oft zurück, dass ich gar nicht merke, wie ich eigentlich schon lange angekommen bin. Dieser kleine Fleck vollkommener Unschuld. Kathartisch, vergebend.

Ich weine und lache und bin komplett erfüllt und vollkommen geleert gleichzeitig.

All die vorgeschobene Coolness und Entspanntheit zerschlagen sich. Ich entschuldige mich, doch die Frauenärztin freut sich einfach nur mit mir, bekräftigt mich. So etwas ist einfach bewegend, da kommen Emotionen hoch, man darf sie rauslassen.

Ausblick und Rückblick in Graustufen

In den folgenden Ultraschallen wird mehr zu sehen sein. Es sieht zunehmend aus wie ein Menschlein. Man erkennt zunehmend Einzelheiten, auch als Laie. Man sieht das Profil und die Fingerlein, man sieht die Leber. Man sieht die Wirbelsäule. Wer einen 4D-Ultraschall macht, sieht vielleicht sogar bereits das Gesichtlein. Irgendwann ist das Baby dann so groß, dass es gar nicht mehr als Ganzes ins Bild passt.

Der erste Ultraschall sei nicht so spannend. Ich kann rückblickend sagen, dass es der mit Abstand spannendste und bewegendste war. So viel Hoffnung, so viel Potenzial, so viel, was noch passieren kann, und so viel, das schon passiert ist. Ab dem Moment fing wirklich ein neues Leben an. Eigentlich zwei. Dieses kleine flimmernde Herzchen, es hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, viel mehr als all die anderen Bilder in unzähligen Graustufen.

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