Introduction

Es geht los

Es geht los

Georg fragte, was los sei. Mit versteinertem Gesicht und einem Puls, den ich hören konnte, murmelte ich, meine Fruchtblase sei geplatzt. Und zwar nicht so ein bisschen tröpfelnd. Ich hatte gerade eine Pfütze in der Größe des Baikalsees unter dem großen, massiven Tisch hinterlassen. Mit jeder kleinsten Bewegung schoss mehr Flüssigkeit heraus. Auch die Sitzbank akkumulierte Flüssigkeit, von der auch Georg nicht ganz unberührt blieb.

Hollywoodreif

Dabei hatte ich noch wochenlang überlegt, ob man denn ein Leck in der Blase wirklich bemerken würde. Hatte pH-Papier gekauft, für den Fall der Fälle. In diesem Moment hatte ich es natürlich weder dabei, noch war es notwendig. Aus meiner Vagina schossen Niagarafälle. Mitten in einem mexikanischen Restaurant.

Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit, unter die 10 % zu kommen, deren Geburt mit einem Blasensprung anfängt, hatte ich als nicht wirklich hoch eingeschätzt. Und noch viel weniger dachte ich, das würde wie in einer 90er Jahre Sitcom ablaufen, in denen Geburten generell immer mit einer dramatisch platzenden Fruchtblase anfangen, und alles an Flüssigkeit in einem großen Schwall austritt. Doch da war er, mein Schwall. Ich versuchte ihn stillsitzend abzufangen, vergebens.

Zuspruch

Die Kellnerin muss unsere schockierten Gesichter gesehen haben, denn sie war eine Sekunde später an unserem Tisch. „Das Baby kommt, oder?“, sagte sie fröhlich und strahlend. (Die Lache war unter dem großen Tisch recht gut versteckt.)

photo by roberto carlos román don via unsplash

„Das ist ihr erstes Kind, richtig?“ fuhr sie fort. Ich bejahte und begann, mich ausgiebig zu entschuldigen, weil es aus mir rauslief. Sie versuchte mich und Georg nicht nur zu beruhigen, sondern auch positiv zu stimmen. „Das wird der schönste Tag in Ihrem Leben, Sie werden sich so freuen!“ Auf Nachfrage hin erzählte sie uns kurz von ihrer neunjährigen Tochter, mit viel Liebe für ihr Kind und an die Erinnerung an ihre eigenen Erfahrungen. Ihre Zuversicht, Freude und Hilfsbereitschaft – und komplette Ignoranz gegenüber dem See aus menschlichen Ausgüssen unter dem Tisch – waren einmalig. Sie half uns, Ruhe zu bewahren und tatsächlich einfach den Moment zu genießen. So gut es ging.

Runterkommen

Immer wieder, als die Nervosität oder Verlegenheit mich überkommen wollte, forderte sie uns breit lächelnd auf: „Freuen Sie sich! Das wird ein toller Tag!“ Sie half mir auf die Toilette und stoppte mich, als ich aufgeregt versuchte, das restliche Fruchtwasser vom Boden zu wischen. Eine Sisyphusarbeit, da mit jeder Wischbewegung das Doppelte von dem, was ich gerade aufgewischt hatte, wieder rauslief. Ich war ein Fass ohne Boden. Wie viel Fruchtwasser passt in einen Menschen rein?

Nachdem ich mich telefonisch bei der Klinik erkundigt hatte, ob wir uns beeilen müssten und was wir jetzt zu tun hätten, rief die Kellnerin uns in aller Ruhe ein Taxi. Einen Milchkaffee aufs Haus gab es zur Beruhigung obendrauf. Nicht, dass ich Kaffee gut runterbekam während der Schwangerschaft – aber die Zeit, die wir uns nehmen mussten, bis er auf eine trinkbare Temperatur runtergekühlt war, half uns, runterzukommen und uns wirklich einfach nur zu freuen, auf das, was nun kommen würde.

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