Introduction

Sowas wie Nachwehen

Sowas wie Nachwehen

Die ersten Tage daheim mit unserer Tochter waren voll. Nachwehen, vollgepackt, erfüllt, überfüllt mit Emotionen, Impressionen und Chaos. Wie Ebbe und Flut wechselten sich Glück und Freude regelmäßig mit Angst und Sorge um das kleine Wesen ab. Immer noch saß uns der Schock der ersten Tage im Nacken, und der Arztbrief, der uns zu besonderer Vorsicht ermahnte, tat sein Übriges.

Auch war die Nachsorge-Hebamme besorgt wegen des schwankenden Gewichts. Sie hielt uns daher an, Clara mindestens ein Fläschchen am Tag zu geben, bis sich ihre Gewichtszunahme stabilisierte. Ob abgepumpte Muttermilch oder Säuglingsnahrung war egal, eine Flasche ließe sich aber leichter wegtrinken. So ’ne Brust zu entleeren, das erfordert schon etwas mehr Anstrengung.

Verwaiste Pläne

Es ist faszinierend, wie viele Gedanken wir uns im Vorfeld über Kleinigkeiten gemacht haben. Wie viele Entscheidungen wir getroffen haben. Und wie viele davon ohne unser Zutun über Bord geworfen wurden. Eine Meuterei elterlicher Pläne.

Würden wir die Kleine schnullern lassen? Bloß kein Zufüttern, die Gewichtsabnahme in den ersten Tagen ist doch überbewertet. Ein Fläschchen behindert das Stillen, und der frühe Allergenkontakt … Bloß kein Zucker, mindestens im ersten Lebensjahr. Und natürlich Körperkontakt und Bonding unmittelbar nach der Geburt, bei Notkaiserschnitt eben mit Papa, keiner nimmt uns unser Baby weg!

Von Flaschen und Schnullern …

Clara wurde ohne unsere Einwilligung Fläschchen mit Prä-Milch gegeben. Und auch Glukoselösung hat sie bekommen. Soviel zum Thema Zucker. Und, ganz klar: Beides war nötig. Auf der Intensivstation zählen individuelle Vorstellungen nicht. Du wirst nicht gefragt, und das ist gut so. Ein instabiles Neugeborenes ist kein guter Kandidat für Zufütter-Idealismus. Und wenn es dadurch irgendwie nicht mehr mit dem Stillen geklappt hätte: Auch das wäre es wert gewesen. Die ersten Stunden waren so verdammt kritisch, dass eine gute Stillbeziehung in der Prioritätenliste ganz weit unten war.

photo by zeesy grossbaum via unsplash

Der Schnuller, den sie im Mund hatte, als wir sie das erste Mal wiedergesehen haben, war auch nicht unsere Idee. Doch ihr schien er Halt zu geben. Also auch die Frage nach dem Schnuller hatte sich wohl geklärt. Später würde sie jeden Schnuller ausspucken.

… und von Bonding und Mikroben

Und vom Sofort-Bonding mussten wir auch Abstand nehmen. Es tut immer noch weh, in jedem Ratgeber, in jeder Zeitschrift zu lesen, wie ungeheuer wichtig das ist. Als würde nicht sowieso jede Mutter ihr Neugeborenes umgehend in die Arme nehmen wollen, sobald es da ist.

Genauso die vielen Interventionen, die Antibiotikagabe. Dabei erinnere ich mich noch aus der Uni an die Graphen zur Mikrobiom-Besiedlung im Darm von vaginal geborenen vs. per Kaiserschnitt geborenen Kindern. Und jetzt hauen wir das Mikrobiom erstmal gleich mit mehreren Antibiotika kaputt. Ja, sicherlich nicht toll. Notwendig? Absolut. Bei all dem Wettern gegen (übermäßige) Antibiotikagabe wird oft unter den Teppich gekehrt, wie verdammt revolutionär deren Erfindung war, und wie wichtig und lebensrettend diese essenziellen Medikamente sind.

Das Ideal vom Wochenbett und die Realität

Mein Wochenbett stellte ich mir im Vorfeld romantisch-verträumt und anstrengend, aber heilend im Bett vor. Alles andere konnte warten. Doch am ersten Tag daheim lief ich zur Drogerie, um dieselbe HA-Prä-Milch zu kaufen, die die Kleine im Krankenhaus bekommen hatte. Wenn schon zufüttern, dann zumindest nur eine Sorte.

Ich bestand darauf, selbst zur Drogerie zu laufen, während eines Nickerchens der Kleinen.

photo by kelly sikkema via unsplash

Flaschen. Mit dem Thema hatten wir uns nicht beschäftigt, und nun musste eine Wahl her. Eine elektrische Milchpumpe, die für 25 € ausgeschildert war, tatsächlich aber 75 € kostete, was ich erst im Nachhinein bemerkte. Dass ich eine Pumpe in der Apotheke hätte ausleihen können, habe ich erst ein paar Tage später erfahren. Fertigmilch wie im Krankenhaus gab es nicht, nur das Pulver. Brauchen wir Babywasser?

Ich war gestresst, in Eile, komplett von Hormonen überrannt, und hatte immer noch ein ausgehöhltes Gefühl. Nachdem ich dann auch noch keinen 10%-Rabatt-Gutschein zur Hand hatte und die Kassiererin kommentiert hatte, dass jetzt einer wirklich gut wäre, brach ich beim Heimweg in Tränen aus.

Pause ohne Ruhe

Ich sollte jetzt im Bett sein und mit meiner Tochter bonden. Sie kennenlernen. Meine Gedanken sollten um ihr erstes Bad und um ausgelaufene Windeln kreisen. Nicht darum, dass sie wieder aufhört zu atmen. Ich sollte ihr die Brust geben und nichts anderes. Und ich sollte nicht blutend durch die Straßen rennen. Doch in Realität war ich zu sehr auf Adrenalin, zu sehr in Alarmbereitschaft, um mich im Bett zu entspannen. Um mich bedienen zu lassen. Ich konnte mich die ersten Tage nicht ausruhen, konnte nicht zur Ruhe kommen, weil ich innerlich zu unruhig war. Die Nachwehen des Erlebten der ersten Tage waren zu schmerzhaft.

Zumindest hörte ich auf zu laufen. Für einen Moment blieb ich stehen. Und ging dann langsam heim. Und war wieder da, ehe Clara wach war.

photo by Tuva Mathilde Løland via unsplash

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