Introduction

Mit Liquorleck auf der Wochenbettstation

Mit Liquorleck auf der Wochenbettstation

„Bitte aufsetzen“, bellte mich die Krankenschwester gleich zur Begrüßung auf der Wochenbettstation unfreundlich an und reckte mir eine FFP2-Maske entgegen. Frisch aus dem Kreißsaal durfte ich nun wieder Maskenluft atmen. Willkommen auf der Wöchnerinnenstation!

Liquorleck: Kleines Loch mit großen Folgen

Aufgrund der Corona-Bestimmungen musste mein Freund nun das Zimmer verlassen. Sein Besuch in der Klinik beschränkte sich fortan auf die mageren Zeiten zwischen 14 und 18 Uhr.

Cor Gaasbeek auf Pixabay

Im Laufe des Nachmittags bemerkte ich, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Ich konnte es noch nicht ganz definieren. Es war eine Art von Kopfschmerzen, die vom Nacken her über meinen Kopf strahlten.

Die Nachtschwester bot mir am Abend an, auf mein Baby aufzupassen, damit ich mich erholen konnte. Sie meinte, es sei gut, wenn ich flach liegen bliebe. Erst allmählich wurde mir bewusst, dass meine Kopfschmerzen vor allem im Sitzen und Stehen präsent waren. Im Liegen waren sie so gut wie verschwunden. Hinter den Beschwerden steckte ein Unterdruck im Gehirn.

Am Nachmittag hatte ein Anästhesist mich bereits über das sogenannte Liquorleck aufgeklärt. Der Liquor ist eine Flüssigkeit, die das Gehirn und das Rückenmark umgibt, um das zentrale Nervensystem zu schützen. Aufgrund einer zu tief gesetzten Periduralanästhesie (PDA) während der Geburt entstand ein kleines Loch, durch das nun als Folge Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit austrat, was die extremen Kopf- und Nackenschmerzen bei mir verursachte.

Behandlung des Liquorlecks

Es gab nun zwei Möglichkeiten: Abwarten, bis sich das Loch von selbst verschließt, oder den Druck mithilfe eines Blutpatchs erhöhen. Bei dieser Behandlungsmethode wird Eigenblut in den Bereich um die Rückenmarkhäute (Epiduralraum) gespritzt. Es wäre wieder ein minimalinvasiver Eingriff mit möglichen Nebenwirkungen. Ratlos suchte ich im Internet nach Erfahrungsberichten und beriet mich mit einer Freundin, deren Schwester nach der Geburt ebenfalls unter einem Liquorleck gelitten hatte. Bei ihr hatte das Liquorverlustsyndrom ganze vier Wochen angedauert. Das waren ja Aussichten!

Am nächsten Tag war das seltsame Gefühl noch präsenter: Ich konnte mich nicht einmal mehr zum Essen aufrichten. Mein Kopf fühlte sich sehr schwer an, als könnten Hals und Nacken, ihn nicht mehr tragen. Da ich nicht in der Lage war, regelmäßig zur Toilette zu gehen, wurde mir ein Katheter gelegt. Zudem bekam ich Eisen über einen Tropf wegen des hohen Blutverlusts unter der Geburt. Ich fühlte mich hilflos und ausgeliefert.

Um etwas Erleichterung zu verschaffen, bekam ich starke Schmerz- und Koffeintabletten sowie ein bis zwei große Tassen Kaffee bereits zum Frühstück. Richtig verstanden! Während der Stillzeit soll man ja nicht nur auf Alkohol verzichten, sondern auch den Koffeinkonsum weitgehend einschränken. Nicht jedoch, wenn man an den Folgen einer falsch gesetzten PDA leidet!

Martin de Arriba auf Pixabay

Während viele frisch gebackene Mamas beim Spazierengehen ihren entkoffeinierten Latte Macchiato schlürfen, durfte ich bereits am zweiten Lebenstag meiner Tochter Unmengen an Kaffee und Cola trinken – liegend aus einer Schnabeltasse. Eine Linderung bemerkte ich trotzdem nicht.

Folgen des Liquorlecks

Aufgrund der starken Schmerzen war es mir kaum möglich mich aufzurichten oder gar aufzustehen. Das hatte Folgen: Meine langen Haare sahen bereits am zweiten Tag nach der Geburt so zerzaust und verfilzt aus wie misslungene Dreadlocks. Mein Baby wurde mittlerweile von den Stationsschwestern zugefüttert. Durch das lange Liegen bekam ich einen üblen Wadenkrampf, den nur der Mann meiner Bettnachbarin, der zufällig Arzt war, lösen konnte.

Streit und Missverständnisse

Mein Zimmer lag ganz am Ende des Ganges, unmittelbar gegenüber der Kardiologie.  Ich fühlte mich in meiner misslichen Lage alleingelassen. Um eine Stationsschwester zu rufen, musste man mit seinem eigenen Handy anrufen. Als meine liebe Bettnachbarin dann auch noch das Krankenhaus verließ, war ich ganz allein mit meinem Neugeborenen, um das ich mich wegen des Liquorlecks nicht richtig kümmern konnte. Wenn die rücksichtslose Schwester die Jalousien, die ich mühevoll heruntergelassen hatte, wieder nach oben schob, lag mein Neugeborenes in der prallen Sonne.

Pexels auf Pixabay

Trotz der großen Mengen an Koffein, die ich als stillende Mama täglich zu mir nehmen musste, schlief mein kleines Mädchen selig und fest weiter. Als ich sie so friedlich in ihrem Bettchen liegen sah, kam mir in den Sinn, ihren Namen zu ändern. Die Liebe, die Angenehme. Diese Bedeutung passte doch viel besser zu ihr als der Name auf den mein Freund und ich uns noch vor der Einleitung geeinigt hatten! Mein Handy leuchtete auf: „Herzlichen Glückwunsch zur Geburt eurer Tochter …“. Nein, es war nicht ihr Name! Ich fühlte es. Auf Facebook blinkte zusätzlich eine Benachrichtigung meiner Schwiegermutter in Spe auf. Sie hatte verkündet, dass ihre Enkelin … geboren war. Ich teilte meinem Freund meine Zweifel über die Namensgebung mit. Es kam zu einigen Missverständnissen und letztlich zu einem größeren Familienstreit, der am Ende mit dem Namen gar nichts mehr zu tun hatte. Befeuert wurde dies durch die unfreundliche Stationsschwester.

Abschied von der Wochenbettstation

Am dritten Tag nach der Geburt entfernte sie meinen Katheter und sagte, dass ich binnen 15 Minuten einen Termin zur U2 hätte, weil ich heute ja nach Hause gehen würde. Ich sollte mich anziehen und mit meinem Baby in das Untersuchungszimmer gehen.

Es erschien mir wie ein schlechter Scherz: Ich konnte mich ja nicht einmal im Bett aufrichten. Es war ein Sonntag, und mein Zimmer auf der Station schien noch ruhiger und abgelegener als sonst. In meiner Verzweiflung bat ich meinen Freund um Hilfe, der es trotz der Corona-Bestimmungen  schaffte, außerhalb der Besuchszeiten zu mir zu kommen. Mittlerweile betrat auch der Kinderarzt das Zimmer, der sich wunderte, dass ich nicht zum vereinbarten Termin nicht erschienen war.

Mit dem Krankentransport nach Hause

Der junge Frauenarzt, der an jenem Sonntag Dienst auf der Wochenbettstation hatte, erläuterte mir auf Nachfrage noch einmal den Geburtsverlauf. Nach kurzer Überlegung entschied ich mich dazu, die Klinik noch an diesem Tag zu verlassen. Doch mit dem Taxi wie bei der Hinfahrt war für mich unmöglich. Ich bat um eine Alternative. „Sie sind die erste Wöchnerin, die ich per Krankentransport nach Hause schicke“, teilte mir der Arzt mit.

Da mein Freund erst kurz vor der Geburt einen neuen Job angefangen hatte, konnte er nicht gleich in Elternzeit gehen. Meine Mutter wollte auch nicht mehr länger in München bleiben. Also musste ich wieder fit werden, es irgendwie schaffen aufzustehen. Kurz nachdem ich mit dem Krankentransport zurückgekommen war, schien mir das noch unmöglich. Ich schaffte es ja gerade mal so auf Toilette zu gehen. Ich erhielt den Rat, über die Krankenkasse eine Haushaltshilfe zu beantragen. Doch der Prozess zögerte sich so lange hinaus bis es zu spät war.

Nach nur einer Woche war der Spuck mit dem Liquorleck von heute auf morgen vorbei. Ich fühlte mich trotz Geburtsverletzungen, wunden Brustwarzen und den üblichen Beschwerden einer Wöchnerin wie neu geboren!

 

 

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