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Die Boss-Beichte

Die Boss-Beichte

Am Tag nach dem ersten Ultraschall ist es nun so weit. Große Lust, meinen Arbeitgeber und Kollegen so früh über meine Schwangerschaft zu informieren, habe ich echt nicht. Noch dazu vor Freunden oder Familie. Aber was anderes bleibt mir nicht übrig. Ich bin „bereits“ in der 8. Woche, und das Versteckspiel und der Zehenspitzentanz um die Gefahrstoffe herum geht schon seit drei Wochen. Sehr erfolgreich, muss ich sagen.

Zwischen Heimtest und Ultraschall

Einen Kollegen muss ich zwischenzeitlich doch einweihen. Den verschwiegenen, introvertierten, der ebenfalls zu den neueren Mitarbeitern gehört. In einem letzten Arbeitsschritt in einer Probenaufbereitung musste eine toxische Substanz auf eine Platte gegeben werden. Die Kategorie von Zeug, die nachgewiesen fruchtschädigend ist, und die man daher am besten auch nicht mit Schutzkleidung anfasst. Es dauert keine zehn Minuten, und wir legen die Aktion auf den frühen Abend, wenn sowieso bis auf uns keiner mehr im Labor rumschwirrt. Trotzdem stehe ich wache, im Türrahmen zwischen Labor und Gang, nervös zitternd, bis alles aufgeräumt und im Tiefkühler ist.
Natürlich ging alles gut. Die Proben wurden perfekt aufbereitet, keiner hat uns „erwischt“, es wurde nichts verschüttet oder ähnliches, das mit hätte gefährlich werden können. Trotzdem war diese eine panische Schweißdusche mehr als genug. Die drei Wochen zwischen dem Heimtest und dem ersten Ultraschall waren anstrengend und natürlich, trotz aller Vorsicht, riskant. Jetzt, wo die Schwangerschaft von ärztlicher Seite bestätigt war, schien es mir an der Zeit, in den sauren Apfel zu beißen und mit der Sprache rauszurücken. Und das Beste aus der Situation zu machen, auch beruflich.
Photo by Louis Reed via Unsplash

Natürlich war mein Herz so tief gerutscht, dass ich es in meiner Ferse schlagen fühlte, als ich meinen Vorgesetzten am Tag nach dem Ultraschall um ein Gespräch bat. (Den Tag des Ultraschalls und einen davor hatte ich tatsächlich freigenommen, da meine Rückenschmerzen dank Relaxin unerträglich wurden.)

Im Nachhinein und im Moment

Schwanger in der Probezeit ist, trotz der rechtlichen Absicherung, einfach scheiße. Ganz ehrlich. So hatte ich mir das auch nicht vorgestellt. Rückblickend klingt das sehr naiv. Ich hatte ungeschützten Sex an meinem Eisprung, was hatte ich denn erwartet, was dabei rauskommt, ’n Fernseher?
Gleichzeitig weiß ich auch, wie ungemein pessimistisch und ohne jegliches Vertrauen in meinen eigenen Körper oder an mich selbst ich mich in das Projekt Kinderkriegen geworfen habe. Durch all den Mist, den ich meinen Körper gezwungen habe, mitzumachen, durch Blutwerte, durch die ich mich wie Trockenobst fühlte, war ich hoffnungsloser, als ich – retrospektiv – hätte sein sollen. Bereuen kann ich das Timing trotzdem nicht, denn nun hatte ich da etwas in meinem Bauch wachsen, an dessen Möglichkeit ich gar nicht geglaubt hatte. Und das gar nicht früh genug kommen konnte.

Zeit zu Beichten

 

Natürlich hatte ich im Vorfeld etwa achthundert Mal geübt, was ich wie sagen und formulieren würde. Was am Ende aus meinem Mund rauspurzelte, weiß ich nicht mehr. Ziemlich sicher nicht das Einstudierte. Dafür erinnere ich mich an die Reaktion meines Vorgesetzten – diese war nämlich erst einmal einfach: Glückwunsch!
Und zwar eines, das ich ihm menschlich ehrlich abnahm. Mir ist klar, in welche schwierige Situation ich ihn gebracht hatte, und dass eine schwangere Laborkraft nicht das war, worauf er gehofft hatte, als er mich eingestellt hatte. Doch all das ließ er sich nicht anmerken und schien sich ehrlich für mich zu freuen. Immerhin. Ich hatte mit viel (mehr oder minder berechtigter) Abfälligkeit gerechnet, stattdessen bekam ich fast schon ein Gefühl der Absolution.

„Hattest du denn schon Zeit, dir zu überlegen, wie du dir deine Arbeit vorstellt?“

Ganz klar: Normalerweise werden Schwangere in größeren Unternehmen aus dem Labor genommen. Auch am Schreibtisch gibt es viel zu tun. Doch tatsächlich hatte ich mir, zusammen mit Georg, die Frage schon vor der Schwangerschaft oft gestellt. Und hatte zumindest hierauf eine Antwort parat: Wenn möglich und das für alle Beteiligten in Ordnung wäre, würde ich gerne zumindest zu einem Teil weiter im Labor bleiben wollen.
In der Akademia hätte ich als Doktorandin höchstwahrscheinlich auch noch Hochschwanger voll im Labor arbeiten müssen und mit viel lascheren Sicherheitsvorkehrungen. So kannte ich das leider von alten Kollegen. Und einen reinen Bürojob hatte ich davor schon. Vierzig Stunden die Woche am PC trieben mich in den Burnout und diverse Flaschen in meine Arbeitstasche.
Arbeit im Labor kommt auch bei super Sicherheitsvorkehrungen mit einem Restrisiko einher. Das Risiko, durchzudrehen, wenn ich nur noch vor dem Bildschirm sitzen und Tätigkeiten mit einer fragwürdigen Sinnhaftigkeit ausüben würde, war aber größer und realer.

Weiter an der Pipette

Und auch hier wurde ich positiv überrascht. Durch verschiedene Erzählungen meiner Kollegen nahm ich an, dass bei der Versetzung an eine reine Schreibtischtätigkeit kein Spielraum vorhanden war. Stattdessen freute sich mein Vorgesetzter, und nach einem weiteren Gespräch, auch der Chef des Ladens, dass ich mir in einem beschränkteren Umfang weiter Arbeit im Labor vorstellen konnte und wünschte. Natürlich stets unter Vorbehalt; ich konnte meine Entscheidung jederzeit spontan revidieren.

Der Kittel passte im Laufe der Zeit immer weniger, und ich wurde nicht mehr in viele neue Methoden eingelernt, wie es in der Probezeit – die nun aus Eis lag – üblich war. Eine Handvoll Arbeiten konnte ich jedoch sicher ausführen, ohne mein Kind zu gefährden. Und das tat ich gerne. Meine Entscheidung, trotz Schwangerschaft im Labor zu bleiben, habe ich nicht bereut – auch wenn ich jede Frau verstehen kann, die sich dagegen entscheidet.

photo via unsplash by
charlesdeluvio

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