Introduction

Mein Traum vom Trinken

Mein Traum vom Trinken

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass Alkohol in meiner Schwangerschaft keine Rolle gespielt hat. Dass ich keinen großartigen Gedanken verloren habe an Alkohol in diesen neun Monaten. Auch wenn ich nichts getrunken habe, nachdem ich einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt: Der Alkohol war immer präsent. Seine Abwesenheit war immer präsent, in Form von Alkoholalbträumen.

Der Traum vom Alkohol

Unzählige Male hatte ich in der Schwangerschaft denselben Albtraum: Dass ich trinke, obwohl ich schwanger bin. Dass ich mich dabei erwische, dass ich ein halbes Bier getrunken habe. Oder aber, dass ich bereits stockbesoffen bin. Ich versuche mich auszunüchtern, oder zu verstehen, wieso ich getrunken habe, ich bin doch schwanger. Schuldgefühle und Panik überkommen mich. Wie bin ich in diese Situation geraten? Ich fühle den illusorischen Angstschweiß.

Ich versuche die Kontrolle zu bekommen, mein Bewusstsein ist aber getrübt, so wie es im Traum automatisch ist. Ich kann nicht gerade gehen, kann nicht lesen, nicht rechnen, nicht denken. Manchmal passiert es, dass ich sage, jetzt ist es auch schon egal, und trinke weiter. Ich hasse mich dafür. Auch, wenn ich wieder wach bin.

Wenn ich aufwache, könnte sofort losheulen. Selbst mein Traum-Ich sollte nicht trinken. Wie kann es nur?

Zwei Hände an einer vernebelten Scheibe - ein Bild wie aus einem Alptraum
photo by Kahfiara Krisna via unsplash

Wenn ich Georg erzähle, dass ich einen Albtraum hatte, fragt er, was für einen. Ich sage, ich war betrunken. Er sagt, das ist kein Albtraum. Da ist ja kein Monster oder so etwas. Vielleicht kein schöner Traum, aber doch kein Albtraum?

Doch, das ist es. Das ist mein Monster. Es macht mir schreckliche Angst.

Neun Monate ohne Alkohol

Die Schwangerschaft ist die längste Zeit meines Lebens seit meinen späten Teenagerjahren, in denen ich so lange keinen Alkohol trinke. Oder anderweitig zu mir nehme; ich lasse sogar das Tiramisu und den Schuss Wein im Risotto weg. Es fehlt mir ein wenig, aber eher emotional. Es gehört mehr in die Kategorie des Vermissens, wie Carpaccio oder Sushi. Plötzlich ist der Wunsch nach Alkohol nicht stärker als der Wunsch nach einem rosa Steak.

Aber nach Nächten, in denen ich mit Herzrasen aufwache, frage ich mich, wie konträr die Wünsche meines Unterbewusstseins zu denen meines bewussten Alltags sind.

Bewusstsein und Bevormundung

In meinem Umfeld scheint es angekommen zu sein, wie schädlich Alkohol in der Schwangerschaft ist. Allen Kollegen ist bewusst, dass Alkohol in der Schwangerschaft komplett tabu ist. Beim mitgebrachten Bäcker-Süßkram für die Gruppe wird gleich darauf hingewiesen, was ich nicht essen darf – Vorsicht, Eierlikörfüllung!

Zwei Plätzchen mit Eierlikör-Füllung: nichts für Schwangere!
Photo by Annacapictures via pixabay

Bei der Verabschiedung eines Mitarbeiters wird nicht mal gefragt, ob ich ein Glas Sekt, Sekt mit Orangensaft, oder puren Orangensaft möchte. Selbstverständlich wird mir ein Glas Saft in die Hand gedrückt. Kurz ärgere ich mich darüber, so bevormundet zu werden. Diese Bemutterung der werdenden Mutter. Dabei hätte ich mich genauso geärgert, hätte man mir die Wahl überlassen. Mann kann es mir nicht recht machen, darüber ärgere ich mich am meisten.

Heißgetränke am Morgen

Ich bekomme keinen Kaffee runter. Alle möglichen Kräutertees scheinen verfrühte Wehen zu fördern und gleichzeitig keinen wissenschaftlich erwiesenen Effekt auf die Einleitung der Geburt zu haben (soviel zum Himbeerblättertee). Ich ärgere mich über diese übermäßige Vorsicht, die alles verbietet, und an Homöopathie-Propaganda grenzt. Und knicke doch ein und koche mir immer wieder harmlosen Rooibostee, den ich von Woche zu Woche immer weniger sehen kann. Morgens gibt es Ingwer-Tee, der mir helfen soll, mich nicht sofort zu übergeben. Er hängt mir schon zum Hals raus und kommt diesen auch zunehmend wieder hoch.

Während ich meinem Morgenritual nachgehe, eine Mischung aus Magensäure, Galle und Ingwer-Tee zu erbrechen, erinnere ich mich an all die verkaterten Tage in der Vergangenheit. Da hing ich genauso über der Toilette. Das Gefühl und der Geschmack sind sich zum Verwechseln ähnlich.  Besonders viel hat sich nicht ja geändert. Und doch, eine Menge.

Angst

Wenn nur diese Angst nicht wäre. Ich fühle mich vom Alkohol verfolgt. Freddy Krueger kommt als Schnapsflasche verkleidet zu mir.

Ich frage mich, wie es nach der Geburt weitergehen soll. OK, da kommt ja, wenn es klappt, noch die Stillzeit, in der meide ich Alkohol auch besser. Aber danach? Komplett an den Nagel hängen will, wollte, ich den Alkohol eigentlich nicht. Ein Glas Rotwein mit Freunden geht doch mal, oder? So hatte ich das in meiner Kindheit erlebt. Meine Eltern haben fast nie etwas getrunken, wenn, dann nur in Gesellschaft, und dann sehr wenig.

Zwei Gäser voll mit Rotwein - für Schwangere Frauen tabu!
photo by anna bratiychuk via unsplash

Postnatale Völlerei

Wie wohl so manche Schwangere male ich mir ein postnatales Menü aus, mit Lebensmitteln, die ich in der Schwangerschaft nicht essen darf. Ein Fest aus Salami, Thunfisch, Bitter Lemon, Serranoschinken, Rohmilchkäse – wo auch immer ich den herbekomme. Noch plane ich ein paar alkoholische Getränke in die unbestimmte Zeit nach der Geburt ein. Einen Sekt, ein Bier, Whiskey, einen Cocktail.  Lache darüber, dass ich nicht anstoßen kann in der Wochenbettstation.

Aber eigentlich ist mir nicht nach Lachen zumute, nur nach erbrechen. Nur danach, dass ich ruhig träumen kann. Von einem einfachen, friedlichen Leben mit unserem Kind. Ohne Verfolgungswahn.

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass Alkohol in meiner Schwangerschaft keine Rolle gespielt hat. Dass ich alles hier maßlos übertreibe, überspitzt darstelle, überdramatisiere. Aber er ist immer da gewesen. Als ehemals bester Freund, aus dem ein innerer Erzfeind geworden ist, der mich bis in meine Träume stalkt.

Ein abstrakt verwirbeltes Bild in schwarz weiss, wirkt wie ein Albtraum
PHOTO by greg rosenke via unsplash

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