Introduction

Von Gesundheit, Trauer und ersten Schritten

Von Gesundheit, Trauer und ersten Schritten

Unsere Tochter ist mittlerweile 1,5 Jahre alt. Es fällt mir immer noch schwer, über ihre Geburt zu reden oder zu schreiben. Ehrlich gesagt fällt es mir immer noch schwer, auch nur daran zu denken. Wobei, nicht an die Geburt selber. Sondern an alles, was unmittelbar danach passierte.

Das Wegnehmen, das Warten und die Unerklärlichkeiten. Wenn ich heute daran denke, bekomme ich eine unglaubliche Sehnsucht nach ihr. Selbst wenn ich neben ihr sitze oder sie im Arm halte. Ich habe das Gefühl, als könnte keine Nähe, keine gemeinsam verbrachte Zeit, keine Liebe, diese ersten Stunden, in denen sie allein war, ohne uns, jemals wiedergutmachen.

photo by nathan dumlao via unsplash

Mütterliche Stille und kryptische Ärzte

Ich wünsche mir bis heute ein Nachsorge-Gespräch mit der Klinik. Doch ich weiß, das Personal ist überlastet; für meine persönlichen Wehwehchen bleibt da keine Zeit. Ganz ehrlich, in den ersten Monaten fehlte es mir an Energie, mich damit zu beschäftigen, und je mehr Zeit verging, desto mehr fehlte es mir auch an Mut, um ein Gespräch zu bitten.

Die Anpassungsstörung war beim Kinderarzt nur kurz am Anfang ein Thema, auf meine Nachfrage hin. Es wurde nochmal ein Ultraschall vom Gehirn gemacht. Doch auf die Frage, was der Kalk im Hirn eigentlich bedeutet, und ob es irgendwelche Folgeschäden von der Geburt geben könnte, war die Antwort in etwa: Wenn es Auffälligkeiten geben sollte, dann ja, wenn nicht, dann nicht. Eine kryptische und statistische Antwort auf die Frage eines konkreten Individuums. Also im Grunde: Abwarten. Wie lange? Und worauf? Wenn was wäre, was wäre das?

Interventionen

Ein Orthopäde hat meinen kleinen Zeh mal herablassend als „Krüppelzehe“ bezeichnet. Und sich gewundert, warum ich nicht schon seit meiner Kindheit Einlegesohlen habe, und wie das überhaupt so lange übersehen werden konnte. Diese harmlose Geschichte steht für viele ähnliche, meist nicht so harmlose. Sie fasst exemplarisch zusammen, warum es mir schwerfällt, einfach abzuwarten. Falls etwas sein sollte, möchte ich es früh genug erkennen, um so früh wie möglich etwas dagegen oder dafür zu tun. Um besser damit umzugehen. Manchmal sorge ich mich, dass das aussieht, als würde ich gezielt nach Krankheiten suchen. In Wahrheit will ich bloß nicht überrascht werden von etwas, das vorhersehbar war.

Sauerstoff, SIDS und sterbende Dinos

Es ist auch verdammt schwer gewesen, vor allem anfangs, die Kleine nicht dauernd zu beobachten. Was, wenn sie nachts aufhört zu atmen? Kann das passieren, ist ihr Risiko dafür erhöht? Ich denke, die meisten Eltern checken in den ersten Wochen im Schlaf immer wieder, ob ihr Baby noch atmet.

Glücklicherweise atmete Clara im Schlaf oft laut. Auch wenn mich das von meinem Schlaf abbrachte, war ich dafür ziemlich dankbar. Wurde sie ruhig, hatte ich das Bedürfnis, immer wieder nach ihr zu sehen. Aber dadurch, dass ihr Atemgeräusch wie das Todesröcheln eines Pterodaktylus klang – bei der U3 wurde uns versichert, dass das normal ist – war zumindest klar: OK, Luft geht rein, Luft geht raus.

photo by zelle duda via unsplash

Schritte weg von der Angst

Mit jedem Meilenstein wurde ich sicherer und beruhigter. Das Stillen klappte gut und sie trank sich ihr Gewicht gut an. Bauchlage ging gar nicht, doch mit etwas Übung war auch das irgendwann geschafft. Und dann das Rollen. Erst nur über eine Seite. Dann auch über die andere. Den Vierfüßlerstand haben wir weggelassen. Dafür war ein Ausfallschritt, der nach einer echten Superheldinnenpose aussah, der Vorreiter zum Stehen und Entlanggehen.

Von Monat zu Monat wurde klarer, dass sie sich normal entwickelt. Und dass sie ein gesundes und vor allem glückliches Kind ist. Es gibt auch kaum einen größeren Boost fürs elterliche Selbstvertrauen als zu sehen, dass das eigene Kind froh und glücklich ist.

Klar, dass sie heute gesund und quietschfidel ist, heißt nicht, dass das morgen auch der Fall sein wird. Da ist das Berufsrisiko von Eltern: Jeden Tag kann was passieren. Aber irgendwie lernt man damit zu leben. Und sich darüber zu freuen, dass heute alles gut ist.

Hohle Reaktionen

Immer wieder höre ich Sätze wie: Jetzt ist ja alles gut. Sie ist ja jetzt wohlauf! Ende gut, alles gut. Hauptsache, sie ist jetzt gesund und munter!

Das stimmt alles, ja. Und darüber freue ich mich unendlich. Doch es macht nicht ungeschehen, was war. Es nimmt dem ganzen nicht den Schreck, es nimmt den Schmerz nicht weg. Das Gefühl der Leere, der Entrissenheit, ist immer noch präsent, wenn ich an alles zurückdenke.

Ein Gefühl der Ohnmacht.

Und auch diese negativen Gefühle haben ihre Daseinsberechtigung und brauchen ihren Platz.

Gar nicht so paradoxe Vereinbarkeiten

Was mir wichtig ist: Das eine Gefühl negiert nicht das andere. Auch wenn ich schmerzhaft an die ersten Tage zurückdenke, so fühle ich auch Begeisterung und Glück. Und ich kann mich darüber freuen, dass es unserer Tochter gut geht, und gleichzeitig die vorgefallenen Ereignisse bedauern. Ich kann traurig darüber sein und ebenso froh und dankbar für die medizinische Versorgung. Sorgen um Claras Gesundheit schließen Freude darüber, dass sie gesund ist, nicht aus. Es ist keine Dichotomie. Auch wenn das paradox klingt. Ich kann mich gleichzeitig zerrissen und vervollständigt fühlen. Ohnmächtig und in mir ruhend.

Vielleicht ist ja das ein Stück der Essenz dessen, was Elternsein ausmacht. Diese riesige Palette an widersprüchlichen Gefühlen, Emotionen und Wünschen. Die aber eben doch alle Sinn machen und zueinander passen. Auch wenn es mittlerweile moderne Varianten in orange-pinken Pastelltönen gibt, so ein echter Regenbogen besteht halt eben auch aus allen Farben, nun ja, des Regenbogens eben. Aus der ganzen Palette, die das Licht so hergibt.

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